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IBAES XVI
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Gedanken und Materialien zur Frühgeschichte der Mathematik in Ägypten
 
Das Wissen der alten Ägypter ist uns im wesentlichen aus Texten bekannt, die seit Beginn des 2. Jt. v. u. Z. aufgezeichnet worden sind, die aber kaum eigenständige Schöpfungen dieser Epoche sein dürften, sondern − oft sogar ausdrücklich vermerkt − Abschriften älterer Texte darstellen. Ihre Archetypen dürften vielfach im 3. Jt. v. u. Z. entstanden sein. Diese Texte stellen die Basis für die vielfach kompendialen Untersuchungen bes. der altägyptischen Mathematik, Astronomie und Medizin dar. Durch Aufarbeitung der Texte konnte ein deutliches und allgemein akzeptiertes Bild der altägyptischen Wissenschaft des Mittleren Reiches (Beginn des 2. Jt. v. u. Z.) und späterer Zeiten gezeichnet werden.
Es machte sich deshalb erforderlich, das erreichbare Material weitgehend vorzulegen − allerdings nicht im Sinne einer Neupublikation −, seine Bedeutung für die Ausarbeitung einer Geschichte der Mathematik zu diskutieren und die Bedingtheit dieses Materials durch den Entwicklungsstand der Produktivkräfte im Niltal des ausgehenden 4. und frühen 3. Jt. v. u. Z. aufzuzeigen.
Im ersten Kapitel „Das Zahlensystem“ wird versucht, durch eine Analyse der ägyptischen Zahlwörter und ihrer grammatischen Konstruktion sowie durch Vergleich der ägyptischen Numeralia mit denen anderer hamito-semitischer oder auch afroasiatischer Sprachen Festpunkte in der Entwicklung der quantitativen Erfassung der Natur zu gewinnen.
Um Material für eine Mathematikgeschichte aus den schriftlosen Epochen gewinnen zu können ist es erforderlich, die Hinterlassenschaft der materiellen Kultur, vorzugsweise des 4. Jt. v. u. Z., zu untersuchen und nach der Existenz von Indizien für die Anwendung von Zählen und Rechnen zu forschen. Für diese boten sich die archäologisch gut bezeugten Dekorationen auf Keramikgefäßen und die vielerorts gefundenen Spiele an; beide Gruppen von Sachzeugnissen gehören zu den Grabbeigaben der neolithisch-aeneolithischen Kulturen des Niltals. Im Kapitel „Mathematisches in der Dekoration von Gefäßen“ wird deshalb − fußend auf der Annahme, Flechtwerkmuster seien dargestellt − untersucht, wie man zur Herstellung solcher Muster auf Flechtwerk bei randparallelen Flechten zumindest das Abzählen beherrschen mußte, um geplante (d. h. der jeweiligen Mode entsprechend) Muster zu flechten. Auch die Spiele, die aus dem ausgehenden 4. Jt. v. u. Z. unter den Grabbeigaben erhalten sind, können als Zeugnisse für die Entwicklung des Abzählens, Addierens bzw. Multiplizierens gelten, wie im Kapitel „Die Spiele“ verdeutlicht wird.
Die größte Triebkraft für die Herausbildung der Mathematik waren jedoch nicht die Erfordernisse der Flecht- und Webtechnik, sondern die Notwendigkeiten, die sich aus der Verwaltung der Abgaben aus den Gemeinden an die Zentralgewalt, die spätere Institution Pharao, ergaben. Eine derartige Abgabenverwaltung erfordert ein eindeutig handhabbares System von Maßen und Masseeinheiten und ist nur möglich, wenn ein Grundinventar von einfachen Rechenalgorithmen vorhanden ist. Steigende Abgaben aus immer größer werdenden Gebieten brachten in der zweiten Hälfte des 4. Jt. v. u. Z. mit der Ausweitung der politischen Macht auch die Möglichkeit, große königliche Grabanlagen zu errichten, zu deren Planung neben einem Maßsystem auch bestimmte Rechenfertigkeiten vorhanden sein mußten. Die Abgabenverwaltung zwang die politische Gewalt des oberägyptischen Reiches schließlich dazu, die Vielzahl der historisch gewachsenen Einzelmaße einzuschränken und eine geringe Anzahl von standardisierten Einheitsmaßen festzulegen, die für das gesamte Einflußgebiet bindend waren. Ein Eichwesen entwickelte sich und garantierte, daß im gesamten Reich nach denselben Standards gemessen wurde. Es ist daher unbedingt erforderlich, im Rahmen einer Materialaufbereitung für die Frühgeschichte der Mathematik im Alten Ägypten auch die faßbaren Belege für die Existenz eines Maßsystems zu sammeln und zu diskutieren (Kapitel „Metrologisches“).
In den frühesten schriftlichen Zeugnissen für die Verwendung dieser Maßsysteme treten auch Schriftzeichen für Teile der Maße auf. Sie versetzen uns in die Lage, nicht nur die Entwicklung der Teilungsreihen verschiedener Maße bis in die ältesten Zeiten zurückzuverfolgen, sondern auch die Herausbildung der ägyptischen Bruchrechnung nachzuzeichnen. Es läßt sich deutlich machen, warum es in Ägypten nur zur Entstehung der als typisch angesehenen Stammbrüche kam, die die Vertafelung in der sog. 2/n-Tabelle fordern und in der rechnerischen Handhabung umständlich sind (Kapitel „Zur Entstehung der ägyptischen Bruchrechnung“).
Zwei mathematisch-statistische Exkurse schließen die Arbeit ab.